„Housing First“ – ein vielversprechender Ansatz
… zur Überwindung von Wohnungslosigkeit und seine Konsequenzen für Sozial- und Gesundheitsdienste
Dr. Volker Busch-Geertsema
Stufensysteme für Wohnungslose, die einen schrittweisen Aufstieg
zwischen verschiede-nen Sonderwohnformen (Notunterkünfte, betreute
Wohngruppen, Übergangswohnen/Trainingswohnen etc.) mit unterschiedlichen
Graden von Autonomie und Kontrolle vorsehen, bevor eine Vermittlung in
abgeschlossenen Wohnraum mit vollen Mieterrechten („Final-wohnung“)
möglich ist, sind in den letzten Jahren sowohl in Europa als auch in den
USA auf zunehmende Kritik gestoßen.
In dem Vortrag wurde die Kritik
an Ansätzen, welche die Erlangung von „Wohnfähigkeit“ ausserhalb des
regulären Wohnungsmarktes zur Zugangsvoraussetzung für eine normale
Wohnung erheben, referiert und der „Housing-First“-Ansatz als
erfolgversprechende Alternative präsentiert.
„Housing First“ steht für ein Hilfeangebot, das in USA erfolgreich erprobt und intensiv er-forscht wurde und bei dem Wohnungslose mit komplexen Sucht- und Abhängigkeitser-krankungen ohne Vorbedingungen an Therapieteilnahme oder Abstinenz normaler Wohnraum und intensive persönliche und gesundheitliche Hilfen vermittelt wurden. Beispiele aus USA zeigen unter anderem, dass die Wohnstabilität nach 24 Monaten selbst bei Personen mit Doppeldiagnosen (und ohne Betreuungsverpflichtung) höher war und seltener Wohnungslosigkeit eintrat als bei einer Kontrollgruppe mit Abstinenzvoraussetzung.
Eine Reihe weiterer Studien – in den USA, aber auch in Europa – bestätigt weitgehend positive Resultate der Integration ehemals Wohnungsloser in eigenen Wohnraum: selbst diejenigen mit den schlechtesten Integrationsprognosen können ihr Wohnverhältnis erhalten, wenn ergänzende persönliche Hilfen verfügbar sind.
„Housing First“ sollte dabei nicht als „Housing Only“ missverstanden
werden; viele – wenn auch nicht alle – ehemals Wohnungslose benötigen
ergänzende persönliche Hilfen, um ihre Wohnung auf Dauer erhalten zu
können. „Housing First“ ist oft eher „Housing Plus“ bzw. „Wohnen Plus”:
die Annahme von persönlicher Hilfe ist keine Voraussetzung, um ein
reguläres Mietverhältnis zu bekommen, aber die Hilfe wird nachdrücklich
angeboten, Mieterinnen und Mieter werden deutlich ermuntert,
Unterstützung anzunehmen.
Der Vortrag beleuchtete eine Reihe von Fragen im Zusammenhang mit diesem Ansatz:
+ Was bedeutet „Erfolg“ bei der Reintegration von Wohnungslosen mit komplexen Problemen in normalen Wohnverhältnissen?
+ Welche Anforderungen sind an die Wohnungen zu stellen, die unter dem „Housing First“-Label vermittelt werden?
+ Welche Anforderungen sind an die Hilfen zu stellen, die eine erfolgreiche und nachhaltige Integration von Wohnungslosen in normale Wohnungen ermöglichen?
+ Welche Konsequenzen und Herausforderungen bedeutet der „Housing-First“-Ansatz für soziale und gesundheitliche Dienste?